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Häufige Fragen
Schon seit Jahrzehnten erhält Miep Gies Post aus aller Welt. Die Absender danken ihr für ihr Buch, erzählen ihre eigene Geschichte, stellen Fragen. Zuerst erschien Mieps Buch in englischer Sprache in Amerika. Zahlreiche Fragesteller, unter ihnen viele Kinder, leben in den USA.
Weiter unten finden Sie eine Liste der 100 am häufigsten gestellten Fragen sowie drei Ratschläge, die Miep Gies allen mitgeben möchte.
Die Postsendungen wurden stets vollständig bearbeitet und individuell beantwortet, aber mittlerweile möchten wir Sie doch bitten, lieber E-Mails zu schicken.
Miep Gies ist am 11ten Januar 2010 verstorben aber Ihr Sohn Paul Gies steht Ihnen jedoch gerne als Ansprechpartner zur Verfügung.
Unten stehend finden Sie hundert der am häufigsten gestellten Fragen, ergänzt von drei Ratschlägen, die Miep Gies allen Interessierten mitgeben möchte.
1. Welches ihre schönste, welches ihre bedrückendste Erinnerung an die Hinterhauszeit (abgesehen von der Verhaftung)?
Antwort von Miep Gies: "Meine schönste Erinnerung ist die an D-day, an jenen Morgen, an dem ich den Untergetauchten die Nachricht von der Invasion der Alliierten überbrachte. Der Tag, an dem Tausende ihr Leben gaben, um uns die Freiheit zu schenken. Die Freude der Untergetauchten war unbeschreiblich. Ein Weinen und Lachen war das! Den schwierigsten Moment erlebte ich an jenem Tag, an dem ich unangemeldet ins Hinterhaus ging und das Zimmer betrat, in dem Anne in ihr Tagebuch schrieb. Als sie aufblickte, sah ich ihrem Gesicht an, dass sie sich ertappt fühlte. Ihre Mutter kam herein und versuchte, die Situation aufzulockern, in dem sie sagte: ‘Unsere Tochter schreibt, Miep, das wissen Sie jat’ (als hätte ich das nicht gewusst, schließlich bat sie mich dauernd um Papier!) Daraufhin stand Anne wütend auf, klappte das Tagebuch zu und fauchte: ‘Allerdings, und ich schreibe auch über dich’! Kurz bevor sie uns verließ, brachte ich noch hervor: ‘Das wäre sehr nett’. Ich brauchte eine Weile, bis ich mich von diesem Zwischenfall erholt hatte. Eines war klar: Anne forderte, dass man ihre Privatsphäre respektierte." Klicken Sie hier um einen Videoclip zu sehen, in dem Miep Gies davon erzählt, wie sie Anne beim Schreiben 'ertappte'.
2. Haben Sie jemals darüber nachtgedacht, dass die Untergetauchten entdeckt werden könnten?
Antwort von Miep Gies: "Nein, denn erstens waren wir viel zu beschäftigt, um über so etwas nachdenken zu können, und zweitens hatten wir das Gefühl, das Richtige zu tun. Es mag unglaubwürdig klingen, aber irgendwie hatten wir tatsächlich das Gefühl, unverwundbar zu sein."
3. War es schwierig, die Bedürfnisse aller zu decken?
Antwort von Miep Gies: "Nun, zum einen waren die Wünsche der Hinterhausbewohner bescheiden, aber dennoch ließen sie sich manchmal nicht erfüllen, was an der zunehmenden Warenverknappung während des Krieges lag. Dass wir manchmal nicht in der Lage waren, die einfachsten Produkte zu besorgen, machte es uns Helfern manchmal schwer."
4. Hat es sich gelohnt, Ihr Leben zu riskieren, um verfolgten Juden zu helfen?
Antwort von Miep Gies: "Ja, aber natürlich. Denken Sie nur an Anne Frank. Dank unserer Hilfe blieb sie zwei Jahre länger am Leben, Jahre, in denen sie ihr Tagebuch schrieb, welches wiederum für Millionen von Menschen eine Quelle der Hoffnung und Inspiration darstellt. Wenn ich an die 750.000 von den Nazis ermordeten jüdischen Kinder denke, stelle ich mir oft unwillkürlich vor, dass eines von ihnen später vielleicht ein Heilmittel gegen Krebs oder Aids entwickelt hätte.“
5. Wie verhielten sich die Nazis, waren sie freundlich oder grob?
Antwort von Miep Gies: "Sie waren vor allem unglaublich scheinheilig. So sagten sie zu den Jugen: ‘Es wird euch nicht gefallen, wie mir euch umgehen. Ihr müsst eure Fahrräder abgeben, die Parks und Strände dürft ihr nicht mehr betreten, öffentliche Verkehrsmittel sind euch verboten, einkaufen könnt ihr nur noch zwischen 15 und 17 Uhr und ins Kino oder ein Restaurant dürft ihr auch nicht mehr, aber wenn ihr tut, was wir sagen, versprechen wir, dass die Familien zusammenbleiben.' …… Blieben sie dann auch, bis in die Gaskammern!"
6. War Anne während der Zeit im Versteck oft ängstlich und traurig?
Antwort von Miep Gies: "Nein, meistens war sie fröhlich und optimistisch. Auch aus ihrem Tagebuch geht diese positive Haltung hervor. Zugleich machte sie einen nachdenklichen Eindruck, nicht beunruhigt, sondern eher verwundert."
7. Haben Sie je ein Vernichtungslager besucht?
Antwort von Miep Gies: "Ja, und das war sehr bewegend."
8. Haben Sie jemals mit Anne allein über den Krieg gesprochen?
Antwort von Miep Gies: "Anne interessierte sich in erster Linie für das, was im öffentlichen Leben Amsterdams geschah und wie es ihren Freundinnen ging. Ich erzählte behutsam, was ich wusste, vermied aber Neuigkeiten, die sie belastet hätten. Doch Anne konnte hartnäckig nachbohren, bis man ihr schließlich doch die ganze Wahrheit sagte. Das kann man auch in ihrem Tagebuch nachlesen."
9. Warum haben Sie Ihr Lebens aufs Spiel gesetzt, um den Familien zu helfen?
Antwort von Miep Gies: "Hierzu muss ich sagen, dass meine persönliche Geschichte eine Rolle spielte. In meinem Heimatland Österreich hatte von 1914 bis 1919 Krieg geherrscht und es hatte dadurch viel von dem verloren, was es einst besessen hatte. Nahrungsmittel waren knapp, und mit elf Jahren erkrankte ich an Tuberkulose. Meine Eltern konnten nicht ausreichend für mich sorgen, und als sich die Möglichkeit bot, mich für einige Zeit zur Erholung in die Niederlande zu schicken, meldeten sie mich dazu an. Ich kann mich daran erinnern, dass ich während der Zugfahrt ab und zu weinte. An einer Kordel trug ich ein Schild mit einem unaussprechlichen Namen um den Hals, auf dem Rucksack stand mein Name: Hermine Santruschitz. Nach 1.100 Kilometern mit dem Zug kam ich in den Niederlanden an und wurde in eine Familie aufgenommen, die eine fremde Sprache sprach. Meine Pflegeeltern hatten fünf Kinder und lebten von einem bescheidenen Einkommen. Dennoch teilten sie alles mit mir und schickten mich auf eine gute Schule. Endlich konnte ich mich revanchieren, indem ich anderen Menschen half! Ich ahnte, dass ich es bereuen würde, wenn ich jetzt nicht geholfen hätte. Ich hoffe, dass jeder mein Handeln nachvollziehen kann und meinem Beispiel folgt, wo immer es notwendig ist."
10. Wussten nur Sie und Herr Kugler von den Untergetauchten?
Antwort von Miep Gies: "Nein, auch Herr Kleiman, meine Kollegin Elly und mein Mann Jan, der als Angestellter beim Sozialamt für Bezugsscheine sorgen konnte, wussten davon."
11. Wie war das Leben in dieser Zeit? Wir kennen die Lage aus jüdischer Perspektive, aber wie war es für die Nicht-Juden?
Antwort von Miep Gies: "Man könnte ein Buch darüber schreiben, und das habe ich, zusammen mit Alison Gold, unter dem Titel ‘Meine Zeit mit Anne Frankk’, dann auch getan." Angaben zum Buch: 'Meine Zeit mit Anne Frank : Der Bericht jener Frau, die Anne Frank und ihre Familie im Versteck versorgte, sie lange Zeit vor der Deportation bewahrte – und sie doch nicht retten konnte.' von Miep Gies in Zusammenarbeit mit Alison Leslie Gold (Frankfurt a. M. : Fischer Taschenbuch Verlag, 2009).
12. Sind Sie je in den USA gewesen?
(Das Buch von Miep Gies 'Meine Zeit mit Anne Frank' wurde zuerst auf Englisch in Amerika publiziert. Viele der Briefeschreiber stammen daher aus den Vereinigten Staaten.) Antwort von Miep Gies: "Ja, oft sogar. Zwischen 1989 und 1996 habe ich mehrmals bei Eröffnungen der Ausstellung ‘Anne Frank in der Welt 1929-1945’ eine Rede gehalten. Außerdem stand ich zusammen mit dem BBC-Produzenten Jon Blair auf der Bühne des Chandler Pavillons in Los Angeles, um einen Oscar für die BBC-Dokumentation ‘Anne Frank – Zeitzeugen erinnern sich;." entgegenzunehmen.
13. Lebt Ihr Mann noch? Und wo wohnen Sie jetzt?
Antwort van Miep Gies: "1993 verstarb im Alter von 87 Jahren mein geliebter Mann Jan. Es mag vielleicht überraschend klingen, dass mit 100 Jahren geistig und körperlich noch bei einigermaßen guter Gesundheit bin und – mit der nötigen Hilfe im Haushalt und bei der Erledigung meiner Korrespondenz – noch selbstständig in meiner 3-Zimmer-Wohnung. Ich verfolge die Nachrichten im Fernsehen und in der Zeitung und erhalte regelmäßig Besuch von meinem Sohn Paul und seiner Frau Lucie, die ganz in der Nähe wohnen. Auch meine drei Enkel kommen hin und wieder vorbei. Ich fühle mich vom Glück begünstigt!"
14. Sind noch Freunde von Ihnen aus der Zeit des Holocaust am Leben?
Antwort von Miep Gies: "Die Untergetauchten und ihre Helfer sind alle tot."
15. Was war das Schlimmste an den damaligen Ereignissen?
Antwort von Miep Gies: "Dass wir nicht dafür sorgen konnten, dass die Kinder mehr Freiräue hatten, ihre Freunde treffen, an den Strand oder in den Wald gehen konnten. Ihr Schicksal, in Angst und Unsicherheit dort hausen zu müssen, zeriss einem das Herz."
16. Haben Sie im Krieg noch anderen Menschen geholfen?
Antwort von Miep Gies: "Ja, wir hatten in unserer Wohnung einen jungen Mann versteckt, der von den deutschen Besatzern gesucht wurde."
17. Sind sie später noch einmal ins Hinterhaus zurückgekehrt und haben Sie einmal ein Vernichtungslager besucht?
Antwort von Miep Gies: "Ja, obwohl der Anblick dieser Orte mich stark aufgewühlt hat." Klicken Sie hier um sich ein Videoclip anzusehen, in dem Miep Gies im Hinterhaus Erinnerungen Revue passieren lässt.
18. Wie ist es für Sie, Anne und ihre Familie gekannt zu haben?
Antwort von Miep Gies: "Es war das Gefühl, unter wahren Freunden zu sein. Ich kannte die Familie Frank und die anderen Untergetauchten bereits seit Jahren und mit der Zeit hatte sich eine tiefe Freundschaft zwischen uns entwickelt. Die Jahre im Untergrund bedeuteten eine Fortsetzung des bereits bestehenden Vertrauensverhältnisses."
19. Wussten Sie, dass Anne im Versteck Tagebuch führte?
Antwort von Miep Gies: "Ja, denn sie bat dauernd um Papier."
20. Glauben Sie, dass Anne und Peter später geheiratet hätten?
Antwort von Miep Gies: "Nein, nach einer kurzen Phase der Verliebtheit erkannte Anne, wie unterschiedlich sie und Peter waren. In ihrem Tagebuch erzählt sie uns von ihren veränderten Gefühlen."
21. Warum sind Sie nie zu Ihrer richtigen Familie nach Österreich zurückgekehrt?
Antwort von Miep Gies: "Eigentlich war das nicht so geplant. Die Situation ergab sich im Laufe der Zeit. Anfangs ließ meine Gesundheit noch zu wünschen übrig und die Situation in Österreich war unverändert schlecht. Meine Mutter hielt es daher für besser, dass mein Aufenthalt in den Niederlanden verlängert wurde. Ich gewöhnte mich an die Niederländer und die Schule, die ich besuchte. Außerdem hatte ich inzwischen Freundschaften geknüpft. Kurzum, ich sollte erst die Schule beenden, um eine Stellung finden zu können. Es war eine allmähliche Entwicklung, bei der nicht zuletzt der frühe Tod meiner Eltern und meiner einzigen Schwester eine Rolle spielte."
22. War Margot immer schon die ruhigere der beiden Schwestern?
Antwort von Miep Gies: "Ja, sie war ein besonders angenehmes und geduldiges Mädchen und dabei eine ausgezeichnete Schülerin mit ausgeprägtem Sozialgefühl. Sie wollte Ärztin oder Krankenschwester werden."
23. Wie haben Sie Ihren Hochzeitstag erlebt?
Antwort von Miep Gies: "Es war ein wunderbarer Tag. Ich habe Jan relativ spät geheiratet, mit 32, aber er war der Mann meiner Träume. Wir waren über 50 Jahre glücklich miteinander."
24. War Anne ein besonderes Kind?
Antwort von Miep Gies: "Anne war erst 4 Jahre alt, als ich sie kennen lernte. Sie war so neugierig, dass es regelrecht lästig werden konnte, ihre vielen Fragen zu beantworten. Zusammen mit ihren Freundinnen kam sie in das Büro, wo ich als Otto Franks Sekretärin arbeitete. Die Mädchen spielten mit den Telefonen und spritzten Wasser vom oberen Stockwerk auf die Leute unten auf der Straße, bis ich ihrem Treiben Einhalt gebot. Ehrlich gesagt fand ich sie ziemlich vorlaut. Das änderte sich, als sie mit 13 untertauchte. Sie entwickelte ein starkes Interesse an dem Verhalten von Menschen. Obwohl sie gerne den Ton angab, verhielt sie sich ruhig, wenn ein anderer sprach und beobachtete denjenigen genau. Deswegen konnte sie die Untergetauchten so gut beschreiben. Zuerst wollte ich das Tagebuch nicht lesen, denn ich wollte den Schmerz nicht wieder aufwühlen. Doch als ich auf Drängen Otto Franks mit der Lektüre begann, konnte ich gar nicht mehr aufhören! Anne erweckte meine Freunde wieder zum Leben. Ich hörte ihre Stimmen, ihr Lachen, ihre Diskussionen wieder. Obwohl ich oft weinen musste, dachte ich immer wieder: Anne, du hast mir eines der schönsten Geschenke gemacht, die ich je bekommen habe!"
25. Waren die Untergetauchten nette Leute?
Antwort von Miep Gies: "Ja, das waren sie. Ihr Lachen, ihr Humor, ihre Dankbarkeit, ihre Tränen, ja sogar ihre Meinungsverschiedenheiten – all das war so menschlich, vergnüglich und unterhaltend. Bis heute vermisse ich sie schmerzlich."
26. Was haben Sie außer Annes Tagebuch sonst noch aus dem Hinterhaus mitgenommen?
Antwort von Miep Gies: "Ich nahm Annes Frisierumhang mit und die Puderdose ihrer Mutter. Jan hat die Bücher aus der Bibliothek abgeholt."
27. Führte Margot auch Tagebuch?
Antwort von Miep Gies: "So vermutet man, auch wenn wir es nie beweisen konnten. Otto konnte es ebenfalls nicht bestätigen."
28. Wie würden sie die anderen Untergetauchten charakterisieren?
Antwort von Miep Gies: "Um diese Frage zu beantworten, verweise ich auf das Buch, das ich zusammen mit Alison Gold geschrieben habe: ‘Meine Zeit mit Anne Frank : Der Bericht jener Frau, die Anne Frank und ihre Familie im Versteck versorgte, sie lange Zeit vor der Deportation bewahrte – und sie doch nicht retten konnte.' von Miep Gies in Zusammenarbeit mit Alison Leslie Gold (Frankfurt a. M. : Fischer Taschenbuch Verlag, 2009).. Klicken Sie hier um einige Zitate von Miep Gies über die Untergetauchten zu lesen.
29. Was war am schwierigsten daran, das Versteck geheimzuhalten?
Antwort von Miep Gies: "Es war sehr schwer, mit der eigenen Familie nicht darüber reden zu können. Nicht einmal die eigenen Eltern konnte man um Unterstützung bitten. Jedes Risiko, dass etwas über das Versteck durchsickern könnte, musste vermieden werden."
30. War es schwierig, an Zigaretten und andere Dinge heranzukommen?
Antwort von Miep Gies: "Man brauchte für alles Marken. Eine Marke berechtigte zum Bezug einer kleinen Menge. Juden erhielten nach einer Einberufung in ein „Arbeitslager“ gar keine Marken mehr. Ich wäre also gezwungen gewesen, vieles auf dem Schwarzmarkt zu beschaffen, doch da mein Mann Jan beim Sozialamt arbeitete, gelang es ihm, auf Umwegen Marken zu besorgen. Dadurch konnte ich Gemüse, Brot, Kartoffeln, ein wenig Butter, Fleisch, Kleidung und Zigaretten kaufen. Gerade genug, damit wir alle uns einigermaßen auf den Beinen hielten!"
31. Wie alt waren Sie, als alles anfing?
Antwort von Miep Gies: "1942, zwei Jahre nachdem Hitler in den Niederlanden einmarschiert war und die Familie Frank untertauchte, war ich 33 Jahre alt."
32. Hat Otto Frank nach dem Krieg in seiner Firma weitergearbeitet?
Antwort von Miep Gies: "Ja, zwischen 1945 und 1951 arbeitete er weiterhin im Kontor. 1951 zog er dann in die Schweiz, wo er noch Verwandte hatte. Herr Kleiman (Koophuis im Tagebuch) führte die Geschäfte bis zu seinem Tod 1960 weiter."
33. Lebt Otto Frank noch?
Antwort von Miep Gies: "Nein, er starb 1980 im Alter von 91 Jahren."
34. Hatten Sie eine enge Beziehung zu Anne?
Antwort von Miep Gies: "Das dachte ich, bis ich ihr Tagebuch las. Zu meiner Enttäuschung und auch der von Otto stellte sich heraus, dass sie ihre tieferen Empfindungen nicht mit uns geteilt hatte. Otto nahm an, es lag daran, dass wir sie noch als Kind betrachtet hatten. Sie muss wohl befürchtet haben, dass wir sie nicht ernst genommen hätten. Deswegen behielt sie ihre Gedanken für sich. Otto ermutigte daher Eltern, die ihm schrieben, sich nach Kräften um Verständnis für die Gedanken ihrer Kinder zu bemühen, weil sonst ‘euer Kind vielleicht genauso einsam wird wie meine Tochter Anne’."
35. Warum hat Otto Frank nie in einem Film mitgespielt?
Antwort von Miep Gies: "Otto war kein Schauspieler. Er hat nur an Dokumentationen und Interviews mitgewirkt."
36. Welcher Film oder welches Theaterstück kommt der Wahrheit am nächsten?
Antwort von Miep Gies: "Im Grunde keines von allen. Stückschreiber und Filmproduzenten fügen immer etwas hinzu oder verändern etwas, um das Copyright für ihr Werk zu erhalten. Sowohl das Theaterstück als auch der Film sind nicht schlecht, aber dass Herr Pfeffer (Dr. Dussel im Tagebuch) Brot gestohlen haben soll oder dass die Untergetauchten zum Zeitpunkt der Verhaftung alleine waren, ist frei erfunden. Wir, die Helfer, waren alle im Büro, als die Grüne Polizei in das Gebäude eindrang."
37. Sie haben Nahrungsmittel und Spiele ins Hinterhaus gebracht. Funktionierte damals das Leben draußen noch normal?
Antwort von Miep Gies: "Die Nicht-Juden konnten weiterhin zur Arbeit, zum Einkaufen und in die Schule gehen. Dennoch konnte man das Leben nicht als normal bezeichnen. Kaum jemand besaß noch ein Auto. Die Nahrungsmittel wurden immer knapper und regelmäßig gab es Fliegeralarm. Dann musste man zu einem der öffentlichen Bunker rennen, die über die ganze Stadt verteilt gebaut worden waren. Die Alliierten bombardierten die Stadt Amsterdam nicht, abgesehen von einigen Fabriken und militärischen Zielen. Die Deutschen schossen jedoch wie besessen auf die feindlichen Flugzeuge, und wenn sie eine Maschine trafen, konnte es passieren, dass diese auf uns herabstürzte. Das neue Gebäude gegenüber dem Münzturm am Blumenmarkt wurde beispielsweise an einer Stelle gebaut, an der ein alliiertes Flugzeug abgestürzt ist."
38. Werden Sie anders behandelt, seitdem Sie berühmt sind?
Antwort von Miep Gies: "Nicht die Leute, die ich kenne, aber das breite Publikum ist neugierig und das finde ich nicht immer angenehm. Ich meide solche Leute ebenso wie die Medien."
39. War es Ihre Idee, das Tagebuch zu veröffentlichen?
Antwort von Miep Gies: "Nein, das beruhte ganz und gar auf Otto Franks Initiative."
40. Von wem stammte die Idee, das Hinterhaus als Geheimversteck zu benutzen?
Antwort von Miep Gies: "Die Idee stammte von Otto Frank."
41. Wie war es, so lange in Annes Nähe zu sein?
Antwort von Miep Gies: "Annes Gegenwart in diesen 2 Jahren war für die Helfer eine große Stütze. Für ihre Fröhlichkeit und Dankbarkeit lohnte sich unser Einsatz jeden Tag aufs Neue. Anne erleichterte uns unsere Aufgabe."
42. Wie haben Sie reagiert, als nur Otto Frank zurückkehrte?
Antwort von Miep Gies: "Ich war natürlich entsetzlich schockiert, ich konnte nicht glauben, dass Margot und Anne, die zum Zeitpunkt ihrer Verhaftung gesund gewesen waren (und das laut Aussage von Überlebenden auch noch einen Monat später waren, als sie das Durchgangslager Westerbork verließen), innerhalb von sechs Monaten zu menschlichen Wracks verfallen und gestorben sein sollten."
43. Was wäre geschehen, wenn die Untergetauchten keine Hilfe gehabt hätten?
Antwort von Miep Gies: "Dann wären sie unverzüglich in die Lager deportiert worden und Anne hätte nie ihr inspirierendes Tagebuch schreiben können, aus dem so viele Menschen Hoffnung geschöpft haben."
44. Befindet sich Annes Manuskript noch immer in Ihrem Besitz?
Antwort von Miep Gies: "Nein, ich habe es Otto gegeben, nachdem klar war, dass seine Töchter nicht zurückkehren würden. Er hinterließ es nach seinem Tod dem Niederländischen Institut für Kriegsdokumentation (NIOD)."
45. Wie denken Sie über die Deutschen?
Antwort von Miep Gies: "Es kommt darauf an. Die grausamen Deutschen hasse ich, aber die vielen anderen, die nichts mit dem Gräueln zu tun hatten, respektiere ich. Ich betrachte immer das Individuum, ehe ich ein Urteil fälle, denn jeder Mensch trifft seine eigenen Entscheidungen. Ich bin geborene Österreicherin und viele meiner Landsleute waren skrupellose Nazis. Es war ein Österreicher, der meine lieben Freunde verhaftet hat. Daraus lernt man, nicht eine ganze Nation zu verurteilen."
46. War es schwierig, sowohl Nahrungsmittel für Sie selbst als auch für die Untergetauchten zu beschaffen?
Antwort von Miep Gies: "Ich war dafür verantwortlich, 11 Menschen mit Nahrungsmitteln zu versorgen, 8 Untergetauchte im Hinterhaus, einen Studenten (Kuno van der Horst, der sich geweigert hatte, die studentische Loyalitätserklärung zu unterzeichnen, deswegen gesucht wurde und sich bei Jan und mir versteckt hielt) und dazu noch Jan und mich. Die meisten Lebensmittel konnte ich mit den Marken kaufen, die Jan über das Rathaus, wo er arbeitete, illegal beschaffen konnte. Doch es wurde immer schwieriger, Geschäfte zu finden, die genügend Lebensmittel vorrätig hatten. Also verließ ich jeden Tag mit Einkaufstaschen das Haus, um mich beim erstbesten Geschäft, wo die Leute anstanden, einzudecken, egal womit, denn auch Kleidung, Schuhe, Tabakwaren etc., alles war nur mit Bezugsmarken erhältlich. Ein anderes Problem bestand darin, dass ich für meine Freunde nicht alles in einem Geschäft kaufen konnte, denn das hätte Verdacht erregt. Ich konnte auch nicht mehr als eine Tasche mit ins Büro bringen (hinter dem sich das Versteck befand), ohne dass andere Beschäftigte Fragen gestellt hätten. Nur die beiden Direktoren und Elly, meine Kollegin, wussten von dem Versteck in dem Gebäude, das an unseres angebaut war. Es kostete immer sehr viel Zeit, um von zu Hause bis zur Arbeit zu gelangen. Während des Krieges waren nur einfache Lebensmittel erhältlich: Kartoffeln, Brot, Gemüse, Butter, Fleisch, Käse, Zucker und Marmelade, aber alles nur in kleinen Mengen. Gegen Ende des Kriegs wurde die Lage prekär. Kein Strom, Wasser nur für eine Stunde am Tag, kein Brennstoff und kein Fett, kein Zucker, kein Fleisch und keine Butter mehr."
47. Wie ist es, die Einzige zu sein, die noch am Leben ist?
Antwort von Miep Gies: "Es ist schmerzlich, die einzige Überlebende der 8 Untergetauchten und 5 Helfer zu sein. Ich vermisse sie sehr, denn ich würde so gerne meine Erinnerungen mit ihnen teilen und ihre Freundschaft genießen."
48. Wie geht es Ihnen, Miep?
Antwort von Miep Gies: "Nun, es klingt vielleicht überraschend, aber ich bin mit meinen 100 Jahren geistig und körperlich noch in recht guter Verfassung und komme mit etwas Hilfe allein zurecht. Mein Sohn Paul und seine Frau Lucie schauen regelmäßig vorbei und auch meine 3 Enkelkinder besuchen mich ab und zu. Ich fühle mich vom Glück begünstigt!"
49. Bestand nicht die Gefahr, dass die Nachbarn die Geräusche und Gespräche im Hinterhaus hörten?
Antwort von Miep Gies: "Ich habe im Büro in der Nähe des Hinterhauses gearbeitet und nie etwas gehört. Natürlich hatten die Untergetauchten ihre Konflikte, aber sie wussten genau, dass ihre Streitgespräche in gedämpftem Ton geführt werden mussten."
50. Wie war es, in den Zeiten des Zweiten Weltkriegs zu leben?
Antwort von Miep Gies: "Manchmal war es beängstigend wegen der Tausenden Bomber, die auf dem Weg nach Deutschland über uns hinwegflogen und von den Deutschen heftig beschossen wurden. Sie wurden regelmäßig getroffen, und die Gefahr bestand, dass eine Maschine auf uns niederstürzte. Hinzu kam, dass man nicht jedem vertrauen konnte. Manche Niederländer arbeiteten mit den Deutschen zusammen, für Geld oder anderen Lohn. Man konnte verhaftet und grundlos erschossen werden. Auch die Nahrungsmittelknappheit verschlimmerte sich dramatisch. Der Winter 1944/45, in dem es nichts mehr gab, ist nicht umsonst als Hungerwinter bekannt. Tausende Menschen starben unter erbarmungswürdigen Umständen, hauptsächlich im Westen, der noch in den Händen der Deutschen war."
'51. Gibt es ein Geschehnis, das Sie niemals vergessen werden?
Antwort von Miep Gies: "Natürlich die herzzereißende Verhaftung der Untergetauchten Anfang August 1944, als wir alle noch die Hoffnung hegten, es bis zur Befreiung zu schaffen. Einige Wochen zuvor hatten wir Helfer die Möglichkeit erwogen, die Untergetauchten wegen der zunehmenden Gefahr der Entdeckung (der Einbruch kurz zuvor, usw.) anderswo unterzubringen. Doch wir hielten es für unmöglich, die acht Personen – egal ob tagsüber oder abends – auf offener Straße irgendwo hinzubringen. Wir hofften, dass die Befreiung kurz bevorstand, und umso härter traf uns dann der Schlag der Verhaftung.“.
52. Weiß man, wo Anne und die anderen Opfer begraben sind?
Antwort von Miep Gies: "Nein, das wissen wir nicht. Ihre Leichen wurden in Massengräbern verscharrt."
53. Hat es je einen Moment gegeben, in dem Sie aufgeben wollten?
Antwort von Miep Gies: "Nein, niemals!"
54. Was war Margot für ein Mensch?
Antwort von Miep Gies: "Sie war eine sehr sympathische Person, sehr aufmerksam, immer freundlich, höflich, hochintelligent und ruhig." Klicken Sie hier um eine kurze Beschreibung Margot Franks durch die Augen von Miep Gies anderswo auf dieser Website zu lesen.
55. Hat Otto Frank seine Meinung über das Tagebuch geäußert?
Antwort von Miep Gies: "Ja, ständig. Er äußerte seine Bewunderung für das, was Anne geschrieben hatte. Er wies mich auf Passagen hin, die ich wegen Annes intelligenter Beobachtungen unbedingt lesen sollte."
56. In welcher Art und Weise haben die damaligen Erfahrungen Ihr Leben beeinflusst?
Antwort von Miep Gies: "Ich bin zu der traurigen Überzeugung gelangt, dass unschuldige Menschen manchmal einem grausamen Unrecht zum Opfer fallen können. Diese Auffassung beherrscht mein Denken."
57. Hätte die Familie Frank vielleicht doch in die Schweiz emigrieren können?
Antwort von Miep Gies: "Das wäre viel besser gewesen, aber die Deutschen erlaubten es nicht."
58. Stimmt es, dass ein Einbrecher die Familien verraten hat?
Antwort von Miep Gies: "Bisher gibt es keinen einzigen Beweis dafür, dass diese verständlichen Ängste der Untergetauchten begründet waren. Tatsächlich hegten allerdings immer mehr Leute den Verdacht, dass sich im Haus Nummer 263 Menschen aufhielten.“ Klicken Sie hier um an anderer Stelle auf der Website mehr über den Verrat zu lesen.
59. Haben Sie das Tagebuch damals gelesen?
Antwort von Miep Gies: "Nachdem ich es gefunden hatte, habe ich es zunächst nicht gelesen, weil ich der Meinung war, damit Annes Privatsphäre zu verletzen. Auch nachdem es veröffentlicht worden war, weigerte ich mich zunächst, es zu lesen, weil ich die alten Wunden nicht wieder aufreißen wollte. Doch als ich Ottos Wunsch endlich erfüllte, konnte ich das Buch gar nicht mehr aus der Hand legen! Anne erweckte meine Freunde erneut zum Leben. Ich hörte wieder ihre Stimmen, ihr Lachen und ihre Streitigkeiten."
60. Wusste Ihre Familie, dass Sie Verfolgte versteckten, und war sie damit einverstanden?
Antwort von Miep Gies: "Ich habe niemandem davon erzählt. Nicht einmal meinen Pflegeeltern, aus Angst, sie könnten das Risiko für zu hoch halten und dagegen sein."
61. Wie hat man die jungen Leute beschäftigt und zum Stillhalten bewegt?
Antwort von Miep Gies: "Aus Annes Tagebuch geht hervor, dass sie sehr wohl wusste, dass sie tagsüber keine Geräusche verursachen durfte. Außerdem absolvierten die Jugendlichen eine Art Fernstudium. Elly, meine Kollegin, gab sich als Schülerin aus und verschickte die Post der Kinder. Zusätzlich hatten sie die Bücher, die man Jan ihnen jede Woche aus einer öffentlichen Bücherei besorgte."
62. Haben Sie außer dem Studenten Kuno noch weitere Menschen versteckt?
Antwort von Miep Gies: "Ja, wenn auch nicht ich selbst. Mein Mann Jan Gies war seit dem Sommer 1941 Mitglied einer Widerstandsgruppe von Angestellten des öffentlichen Dienstes in Amsterdam, und zu seinen Aufgaben gehörte es, für Leute, die aus was für Gründen auch immer vor den Deutschen flüchten mussten, passende Untertauchadressen zu finden, in Amsterdam, aber auch außerhalb."
63. Verspürten Sie Erleichterung nach der Verhaftung der Untergetauchten?
Antwort von Miep Gies: "Über diese Frage war ich zutiefst entsetzt. Und wenn ich zehn Mal so viel für diese Menschen hätte tun müssen, ich hätte es mit Freuden getan, wenn sie dadurch hätte retten können."
64. Was geschah mit den Abfällen der Untergetauchten?
Antwort von Miep Gies: "Was sie nicht selbst im Ofen verbrennen konnten, nahmen wir mit nach Hause."
65. Konnten Anne und Peter hinausgehen?
Antwort von Miep Gies: "Nein, natürlich nicht. Sie trafen sich auf dem Speicher, bis Otto es verbot. In dem Moment, als die Polizei kam, half Otto Peter gerade beim Englischlernen."
66. Haben Sie nach der Verhaftung nach Wertgegenständen gesucht?
Antwort von Miep Gies: "Nein, ich wäre nie auf diese Idee gekommen."
67. Was hielt Ihr Mann davon, dass Sie anderen halfen?
Antwort von Miep Gies: "Er hat mich in jeder Hinsicht unterstützt und selbst sehr viel für den Widerstand geleistet. Er sorgte nicht zuletzt dafür, dass ich genügend Marken erhielt und nichts auf dem Schwarzmarkt zu kaufen brauchte."
68. Wars Otto Frank im Erstes Weltkrieg Offizier bei der deutschen Wehrmacht?
Antwort von Miep Gies: "Ja, erst an der Front in Russland, später in Frankreich."
69. Wie gingen die Nazis mit den Nicht-Juden um?
Antwort von Miep Gies: "Anfangs waren sie nicht unfreundlich, aber das änderte sich ziemlich schnell. Erst versuchten sie, junge Niederländer dazu zu überreden, freiwillig nach Deutschland zum Arbeiten zu gehen, weil die deutschen Männer zunehmend an der Front gebraucht wurden. Aber als sie damit kaum etwas erreichten, griffen die Deutschen einfach Leute auf der Straße auf. Sie veranstalteten Razzien wie gegen die Juden, nur dass diese in Konzentrations- und Vernichtungslager deportiert wurden. Die Nicht-Juden dagegen wurden mit dem Zug nach Deutschland geschickt, um dort Zwangsarbeit zu leisten."
70. Wie verschafften sich die Menschen Informationen über den Krieg?
Antwort von Miep Gies: "Erstens aus den Zeitungen, die die Deutschen noch nicht verboten hatten, die allerdings zensiert waren, und zweitens aus den illegalen Zeitungen, von denen immer mehr kursierten. Drittens hörten wir BBC, wo auch Sendungen speziell für die Niederlande ausgestrahlt wurden. Zwar hatten die Deutschen die Bevölkerung gezwungen, ihre Radios abzuliefern, aber einige Leute hatten dennoch eines behalten und irgendwo im Haus versteckt."
71. Hat Ihr Ehemann Sie unterstützt?
Antwort von Miep Gies: "Selbstverständlich, und wie! Er arbeitete auf dem Sozialamt und sorgte für die Marken, die wir brauchten, um Essen und andere notwendige Dinge kaufen zu können. Außerdem besorgte er die Bücher aus der Bibliothek, die die Untergetauchten haben wollten."
73. Wurde die Person, die bei Ihnen untergetaucht war, verhaftet?
Antwort von Miep Gies: "Nein, er hat es geschafft! Nach dem Krieg ist er in die USA gegangen."
74. Gab es Spannungen unter den Untergetauchten?
Antwort von Miep Gies: "Aus dem Tagebuch wissen wir, dass das Fall war, obwohl sie es mich nicht spüren ließen. Otto wird ihnen sicher ans Herz gelegt haben, sich zusammenzunehmen, weil wir Helfer es auch nicht leicht hatten."
72. Was halten Sie von der heutigen Welt im Vergleich zu der vor dem Krieg?
Antwort von Miep Gies: "Eines hat sich auf jeden Fall verändert. Wir haben heute besseren Zugang zu Informationen und die internationale Zusammenarbeit hat sich erheblich weiterentwickelt. Aber immer noch gibt es zu viele Kriege und menschliches Leid.."
75. Haben Sie je daran gedacht, nach Wien zurückzukehren?
Antwort von Miep Gies: "In den dreißiger Jahren bis ich zwei Mal zurückgekehrt, aber ich wollte dort nicht mehr leben. Auch die Atmosphäre gefiel mir nicht."
76. Hat sich die niederländische Regierung gegen die Nazis gewehrt?
Antwort von Miep Gies: "Nach einem kurzen Krieg gegen einen übermächtigen Gegner gingen unsere Königin und ihre Minister nach London ins Exil und versuchten von dort aus, so gut es ging den Widerstand zu organisieren. Später im Krieg gab es auch eine niederländische Einheit, die gegen die Deutschen kämpfte."
77. Haben Sie Otto Frank geholfen, das ‘Tagebuch der Anne Frank’ zusammenzustellen?
Antwort von Miep Gies: "Ich habe zwar gemeinsam mit Elly (Bep) das Manuskript gerettet und es Otto übergeben, nachdem deutlich war, dass Anne nicht zurückkehren würde. Aber um alles andere hat Otto sich gekümmert."
78. Haben die Besuche bei den Untergetauchten Sie belastet?
Antwort von Miep Gies: "Ja, manchmal fiel es mir schwer, zu diesen Menschen hinzugehen, die in Angst lebten und sich nach Freiheit sehnten."
79. Welche Sprachen sprechen Sie?
Antwort von Miep Gies: "Ich spreche Niederländisch, Deutsch und ein wenig Englisch."
80. Ist jemand von den Helfern oder von Annes Freundinnen noch am Leben?
Antwort von Miep Gies: "Von den Helfern bin ich die einzige Überlende, aber Annes Freundinnen Hanneli, Jopie und Laureen leben noch."
81. Wo sind Sie zur Schule gegangen und wie lange?
Antwort von Miep Gies: "Ich habe fünf Jahre lang die Grundschule in Wien besucht, anschließend ein Jahr die Grundschule in den Niederlanden, dann vier Jahre die höhere Schule, die ich erfolgreich abgeschlossen habe."
82. Wie viele Briefe erhalten Sie?
Antwort von Miep Gies: "Jedes Jahr erhalte ich ungefähr 650 Briefe von Einzelpersonen und dazu Post von circa 30 Schulen mit jeweils durchschnittlich 35 Briefen."
83. Haben Sie jemals ein Konzentrationslager besucht?
Antwort von Miep Gies: "Ja, nach dem Krieg."
84. Hat Ihnen als Kind das Lesen und Schreiben Spaß gemacht?
Antwort von Miep Gies: "Lesen mochte ich, Schreiben nicht so sehr."
85. Haben sich Anne und Peter wirklich geküsst?
Antwort von Miep Gies: "Ich habe es nicht selbst gesehen, nehme es aber an."
86. Wann haben Sie Anne zum letzten Mal gesehen?
Antwort von Miep Gies: "An dem Morgen, an dem sie verhaftet wurde, am 4. August 1944, habe ich Anne zum letzten Mal gesehen. Ich kam ins Versteck, um die Einkaufsliste zusammenzustellen, und hörte Annes spontanes: „Hallo Miep, was gibt’s Neues?“
87. Wuchsen Ihnen die Aufgaben manchmal über den Kopf?
Antwort von Miep Gies: "Gott sei Dank waren wir Helfer ja zu fünft: die beiden Direktoren, meine Kollegin Elly (Bep), mein Mann Jan und ich."
88. Sind Sie als Kind je diskriminiert worden?
Antwort von Miep Gies: "Als ich in die Niederlande kam, war ich ein elfjähriges, österreichisches Mädchen, das kein Wort Niederländisch sprach. Ich erregte viel Aufsehen und Neugier, aber nicht mehr als das."
89. Welche Strafe stand auf das Verstecken von Juden?
Antwort von Miep Gies: "Darauf standen sechs Monate Konzentrationslager."
90. Hat jemals ein Außenstehender Verdacht geschöpft?
Antwort von Miep Gies: "Ja, der Lagerverwalter. Er versuchte, herauszufinden, ob sich nach Büroschluss noch Leute im Gebäude aufhielten, aber es gibt keinen Beweis dafür, dass er die Untergetauchten verraten hat."
91. Wie hat die Polizei das Versteck gefunden?
Antwort von Miep Gies: "Durch Verrat, aber wer das getan hat und wie viele Personen insgesamt daran beteiligt waren, wurde nie aufgeklärt. Es gibt diverse Theorien." (siehe KapitelDer Verrat an anderer Stelle auf dieser Site)
92. Haben Sie nach der Verhaftung je wieder etwas von Anne gehört?
Antwort von Miep Gies: "Ja, von der Frau, die mit Anne in Bergen-Belsen gesprochen hat, wo sie dann gestorben ist. Das war Hannah Goslar, die heute in Jerusalem lebt. Sie hat mir von dem Gespräch mit Anne erzählt, das sie mit ihr führte, als sie schon sehr krank war."
93. Trotz Ihres Einsatzes wurde Anne verhaftet. Hat das alles einen Sinn gehabt?
Antwort von Miep Gies:"Ja, es stimmt, zu meinem unendlichen Bedauern haben wir Anne nicht retten können, aber wir Helfer haben es zumindest geschafft, ihr Leben um zwei Jahre zu verlängern. Und in dieser Zeit konnte sie ihr Tagebuch schreiben und dadurch ihre Botschaft von Toleranz und Verständnis weitergeben."
94. Wie vermittelten Sie den Untergetauchten ein Gefühl der Sicherheit und wie wirkten die Versteckten als Persönlichkeiten auf Sie?
Antwort von Miep Gies: "Darüber könnte man ein Buch schreiben, und das habe ich zusammen mit der Autorin Alison Leslie Gold auch getan. Es trägt den Titel: Meine Zeit mit Anne Frank." Angaben zum Buch: 'Meine Zeit mit Anne Frank : Der Bericht jener Frau, die Anne Frank und ihre Familie in ihrem Versteck versorgte, sie lange Zeit vor der Deportation bewahrte - und sie doch nicht retten konnte.' von Miep Gies in Zusammenarbeit mit Alison Leslie Gold (Frankfurt a. M. : Fischer Taschenbuch Verlag, 2009)
95. Wie dachten Sie über Annes Tagebuch?
Antwort von Miep Gies: "Ich wusste, dass sie Tagebuch führte, und allein das fand ich unter diesen schrecklichen Umständen eine große Leistung. Ich war schon froh darüber, ihr Papier besorgen zu können. Meine Kollegin Bep (Elly) Voskuijl und ich hatten das Glück, Annes Tagebuch und lose Blätter mit ihrer Schrift auf dem Boden des Hinterhauses liegen zu sehen. Ansonsten konnte ich nur Annes Frisierumhang und die Puderdose ihrer Mutter finden. Bep und ich beschlossen, dass ich Annes Tagebuch und die losen Blätter bis zu Annes Rückkehr in Obhut nehmen sollte und ich verstaute sie ungelesen in meiner Büroschublade. Doch leider sollte sie nie zurückkehren, und als Otto Frank vom Roten Kreuz die Nachricht erhielt, dass Anne und Margot niemals wiederkommen würden, gab ich ihm das Tagebuch mit den Worten: 'Hier ist das Vermächtnis Ihrer Tochter Anne an Sie'. Von da an hatte ich nichts mehr damit zu tun. Otto Frank kümmerte sich nun um alles, zum Beispiel die Redaktion der Texte, die Suche nach einem Herausgeber und so weiter. Das Manuskript schenkte er dem Niederländischen Institut für Kriegsdokumentation (NIOD), und die Urheberrechte gingen auf die Anne Frank Stiftung in Basel über, die unter der Leitung von Annes Cousin Buddy Elias steht."
96. Was wissen Sie über die fünf fehlenden Tagebuchseiten?
Antwort von Miep Gies: "1998 gelang es Cor Suijk, der früher dem Anne Frank Haus verbunden und 15 Jahre lang mit Otto Frank befreundet war, fünf fehlende Seiten aus dem Tagebuch aufzutreiben. Otto Frank wollte nicht, dass diese Seiten publiziert wurden, solange er oder seine zweite Frau Fritzi noch am Leben waren. In diesem Fragment zeigt Anne Verständnis für die Verbitterung ihrer Mutter, weil Otto laut Anne seine erste Liebe niemals vergessen konnte. Zu einer Heirat war es damals nicht gekommen, weil die Eltern des Mädchens Ottos Familie für zu arm hielten. Der niederländische Staat hat die Seiten gekauft. Ich kann mir nicht vorstellen, dass noch weitere Seiten auftauchen werden."
97. Ich bewundere Ihre Tapferkeit und Ihren Mut. Ich an Ihrer Stelle hätte es wahrscheinlich nicht getan.
Antwort von Miep Gies: "Wenn die Leute glauben, ich sei etwas Besonderes, eine Art Heldin, befürchte ich, sie könnten bezweifeln, dass sie damals dasselbe getan hätten wie ich. Nicht viele Menschen halten sich für besonders mutig, und das könnte sie womöglich davon abhalten, Mitmenschen in Not zu helfen. Deswegen möchte ich gern allen versichern, dass ich eine ganz normale und vorsichtige Frau bin und ganz bestimmt weder außergewöhnlich noch tollkühn. Ich habe geholfen, wie so viele andere, die ein genauso großes oder vielleicht ein noch größeres Risiko eingegangen sind wie ich. Es war notwendig, und deswegen habe ich es getan."
98. Ratschlag von Miep Gies:
"Es immer besser, etwas zu versuchen, als überhaupt nichts zu tun. Versucht man nichts, gelingt auch nichts."
99. Ratschlag von Miep Gies:
"Man sollte nicht alle über einen Kamm scheren. Jeder Mensch ist ein Individuum und trifft seine eigenen Entscheidungen. Auch in meiner eigenen Familie sind nicht alle so wie ich."
100. Ratschlag von Miep Gies:
"Mitmenschen in Not zu helfen ist keine Frage des Mutes, sondern eine Wahl, die jeder Mensch in seinem Leben irgendwann einmal treffen muss als Unterschied zwischen dem Guten und dem Bösen."
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